Ein Thema - drei Meinungen

Die Redaktion unseres Mitgliedermagazins hat das Thema „Nach der Pandemie“ gewählt und drei politisch Verantwortliche gebeten, uns an ihren Gedanken teilhaben zu lassen.

Die neue Normalität

Thomas Kaminski, Bürgermeister in Schmalkalden

Nach Corona heißt für viele „Zurück zur Normalität“. Nur zu verständlich, dass wir uns auch wieder ohne Maske am Bratwurststand treffen, auf dem Weihnachtsmarkt, zum Stadtfest, im Biergarten. Oder im Rathaus, ohne Auskunfts-Formulare ausfüllen zu müssen. Diesen Wunsch nach Gesprächen, die sich nicht um Speicheltests, Spritzen oder Klimawandel drehen, hege ich auch.

Und doch wird nach Corona vieles anders sein. Wir wurden rascher in die neue Zeit, eine neue Normalität, hinein katapultiert, als je gedacht. Nehmen wir nur die Chance, Sachdiskussionen per Online-Konferenz zu führen und zeit- und energieaufwendige Dienstreisen zu vermeiden. Nehmen wir die digitalen Kommunikationsangebote. Oder die Erkenntnis, dass es Berufsgruppen gibt, die ihre Jobs zeitweise im Homeoffice erledigen können ... Diese Erfahrungen müssen wir qualifizieren. Das ist keine Absage an direkte Kommunikation - wir sollten künftig nur abwägen, wann sie erforderlich ist, weil Zusammenleben auch zwischenmenschliche Schwingungen braucht.

Ebenso haben wir lernen müssen, was Verantwortung bedeutet. Ich bin mir sicher, dass sich bestimmte Hygienekonzepte halten werden, dass sich der eine oder andere künftig dreimal überlegt, ob er sich vergrippt zu einer Großveranstaltung schleppt und auch noch Küsschen verteilt.

Auch gelernt haben wir, dass es Berufsgruppen gibt, die weit mehr verdient haben, als Mediendank und Blumensträußchen!

Apropos Politik: Natürlich bedarf es in einer Krise rascher Entscheidungen. Doch nun geht es darum, auch die Erfahrungen der Lokalpolitiker auszuwerten. Es geht beispielsweise um die simple Erkenntnis, dass man nicht an einem Freitag kurz vor Behördenschluss angewiesen wird, am Montag Kindertagesstätten zu schließen. Oder darum, dass die Schließung einer Lokalität oder eines kleinen Lädchens auf dem Land andere Konsequenzen hat, als in der Hauptstadt. Auch darüber muss, mit Blick auf künftige Krisenszenarien, mit Bürgermeistern, Soziologen, Psychologen und Städteplanern nachgedacht werden.

Ich bemühe aktuell gern folgenden Vergleich: Patient gerettet, nun muss er in der Reha wieder fit gemacht werden – mit neuesten Erkenntnissen aus Gesundheit, Klima und Digitalisierung.

Und: Auch wenn das im Augenblick noch unrealistisch erscheint, birgt die Corona-Erfahrung für Städte und Kommunen auch neue Chancen. Das wird vielerorts dazu führen, dass die städtischen Entwicklungen noch näher an den lokalen Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet werden. Da stehen wir Schmalkalder schon recht gut da und insofern bin ich guter Dinge, dass dies auch so bleibt …

COVID-19 und das Leben danach

Peggy Greiser, Landrätin des Landkreises Schmalkalden-Meiningen

Kein Wort steht sinnbildlicher für KRISE als COVID-19. Tausende Menschen in Deutschland starben daran, Tausende quälen Spätfolgen, Kinder konnten Monate lang nicht zur Schule gehen, litten psychisch unter dem Social Distancing. Existenzen waren und sind gefährdet.

Doch Stück für Stück stellen wir uns der Frage, was hat diese Pandemie uns gelehrt für das Leben danach. Schon jetzt steht fest: Das steigende Hygienebewusstsein, gerade bei Risikogruppen, dürfte nachhaltig sein - die AHA-Regeln können Menschenleben retten, wenn auch weiterhin Virus- und Entzündungskrankheiten im Allgemeinen eingedämmt werden. 

Apropos Menschenleben: Forscher gehen davon aus, dass die Weiterentwicklung der mRNA-Technologie, wie sie bei einigen Vakzinen gegen Corona zum Einsatz kommt, eines Tages auch unheilbare Krankheiten wie Krebs besiegen kann. Corona ist also auch eine Innovations-Triebfeder.

Das gilt auch für das Thema Digitalisierung. Sie hat vor allem in Wirtschaft und Verwaltung eine höhere Bedeutung erhalten: Unternehmen werden künftig noch mehr in digitale Arbeitsprozesse investieren und auch bei Dienstreisen oder Weiterbildungen digitale Alternativen – aus Kosten- und Zeitgründen – abwägen. Auch bei uns in der Verwaltung hat mobiles Arbeiten, so möglich, Einzug gehalten. Und auch in den Schulen setzt man sich weitaus stärker mit digitalen Inhalten und Methoden auseinander. Der Digitalpakt hat diese Entwicklung, aus der Krise geboren, beschleunigt. Insgesamt hat der Landkreis allein 2020 elf Schulen vollständig digitalisiert, 14 sollen dieses Jahr folgen. An all diesen Schulen wurde die IT-Infrastruktur komplett erneuert, das heißt WLAN ist in jedem Klassenraum geschaffen. Zudem profitieren Lehrer und Schüler von neuen Displays, Beamern und digitalen Präsentationsgeräten. Insgesamt 7,1 Millionen Euro werden in den nächsten drei Jahren in alle 54 Schulen des Landkreises fließen. Digitale Medien können den Unterricht in vielen Fächern anschaulicher, praxisorientierter und animierender gestalten – und auch Homeschooling ermöglichen. Aber einen dauerhaften Ersatz für Präsenzunterricht – vor allem auch für die soziale Entwicklung – ist digitaler Unterricht nicht.

Kurzum: Corona hat die Sicht auf viele Dinge verändert. Zeiten und Prioritäten ändern sich: Ein Eigenheim mit eigenem Garten hat heute beispielsweise einen ganz anderen Stellenwert als noch vor eineinhalb Jahren. Ich wünsche mir, dass wir alle gut durch diese Pandemie kommen, dass wir nun schnell einen ausreichenden Impffortschritt erzielen und dass jeder an seinem Platz die gewonnenen Einsichten weiterlebt, damit wir unsere geliebten Freiheiten weiter genießen können.

Lernen nach der Pandemie

Dr. Jan Hofmann, Ex-Staatssekretär für Kultur und Bildung, Sachsen-Anhalt

Diese Pandemie hat viele Probleme im Bildungs- und Schulbereich sichtbar gemacht: Die Organisationsstruktur des Systems, die Unfähigkeit einzelner Länder, mit Krisen umzugehen, die Digitalisierung.

Daraus müssen wir lernen: Kurzfristig bedarf es einer bundeseinheitlichen Strategie zur Kompensation der Lernrückstände. Das betrifft in besonderer Weise die Benachteiligten – damit meine ich nicht nur lernschwache Jugendliche, sondern auch solche, die aus problematischen Familienstrukturen kommend, Defizite zeigen. Nützlich wären Organisationsmodelle – die Erfahrungen aus Distanz- und Präsenzunterricht berücksichtigen. Schließlich muss man ja nicht immer alle Schüler in der Klasse beisammenhaben. Auch die Lernplattformen im Internet sind zu vereinheitlichen. Besonders wichtig scheint mir, dass nun nach einheitlichen Kriterien die Lernausfälle festgestellt werden. Dazu braucht es Lernstandsanalysen mit transparenten Standards.

Langfristig steht nach meiner Beurteilung Folgendes an: In der Kita-Betreuung wäre es gut, wenn bereits in den ältesten Jahrgängen auch Sprach- und Wissenschaftsangebote vermittelt würden. Das setzt kontinuierliche Qualifizierung und Anhebung der allgemeinen Standards des Personals im Kontext zu angemessener Entlohnung voraus. Ebenfalls sollten wir die Instrumente unseres Föderalismus neu überdenken. Wir brauchen für die Zukunft einen modernen Föderalismus, der die spezifischen Besonderheiten der Bundesländer stärker berücksichtigt. Damit lassen sich dann nämlich auch zielgerichteter Gelder verteilen. Also weg vom sogenannten Königsteiner Weg, wonach Länder nach Fläche in Relation zur Einwohnerzahl finanziell bedacht werden. Das ist ein altmodisches Modell.

Altmodisch sind auch die aktuelle Anforderungen an die Lehrerfortbildung. Hier sollten nach meiner Auffassung einheitliche Verpflichtungen zur Weiterqualifikation verbindlich werden, wie in anderen akademischen Berufsgruppen auch. Nehmen wir nur das Entwicklungstempo, das uns die Digitalisierung beschert. Bei aller Freude über neue Hardware-Ausstattung in Schulen ist es damit ja nicht getan. Es müssen Unterrichtsskripte entstehen, die der digitalen Welt entsprechen. Digitales Lernen ist in jedes Fach einzubeziehen.

Apropos Fach: Um die durch die Pandemie entstandenen Ausfälle zu kompensieren, werden wir mit Sicherheit alle bislang festgeschriebenen Lerninhalte überprüfen und entscheiden müssen, was auch verzichtbar ist. Wir sollten diese Chance nutzen um die Lernpläne insgesamt zu entrümpeln und den Anforderungen der Zeit anzupassen.

Eine Anmerkung zum Schluss noch: Wir konnten alle erleben, wie obrigkeitsstaatliches Denken bisweilen zu hilflosem Krisenmanagement auch in den Schulen führt. Da hatten es Schüler besser, deren Lehrer es mit Emanuel Kant hielten, der schon 1784 forderte: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“