Redaktion: Herr Wettstein, können Sie uns bitte kurz einmal Ihren Club vorstellen?
Frank Wettstein: Ein Gründungsverein des Hamburger Sport-Vereins e.V. wurde bereits im Jahr 1887 gegründet. Zum 1. Januar 2014 erfolgte die Ausgliederung des Geschäftsbereichs Profifußball aus dem HSV e.V. auf die HSV Fußball AG, zu der heute die Fußball-Lizenzmannschaft des HSV gehört.
Der HSV e.V. ist der Mehrheitsaktionär der HSV Fußball AG und im verbandsrechtlichen Sinne ihr Mutterverein. Die sportliche Vergangenheit des HSV ist geprägt von einer sehr erfolgreichen Phase in den 70er- und 80er-Jahren und anschließend von vielen Durststrecken und Neuorientierungen. Der negative Höhepunkt war sicherlich 2018 der Abstieg in die 2. Bundesliga.
Das Jahr 2020 hielt aufgrund der Pandemie große Herausforderungen bereit. Wann war Ihnen klar, welch weitreichende Folgen Corona für den HSV und die Fußballbranche haben würde?
Wir haben uns schon vor dem letzten Spieltag mit Zuschauern, das war der 7. März 2020, intensiv mit diesem Thema befasst. Uns war frühzeitig klar, dass wir mit der Problematik über das Jahr hinaus beschäftigt sein werden. Bereits damals haben wir erste Prognosen aufgestellt, die leider in der Folgezeit auch so eingetreten sind, und begonnen, mögliche Maßnahmen hinsichtlich ihrer Umsetzbarkeit zu prüfen. Seither ist der interne Krisenstab aktiv.
Nun wird Profifußball vor leeren Rängen gespielt und verzeichnet auch sinkende TV-Einschaltquoten. Gibt es aus Ihrer Sicht eine Entemotionalisierung?
Ohne Frage, Fußball ohne Zuschauer ist kein akzeptabler Zustand. Nicht für Sportler, nicht für Fans und nicht für TV-Konsumenten oder für Verantwortliche. Emotionen auf den Rängen gehören zum Spiel dazu und machen dies so besonders. Leider ist die Alternative zu Spielen ohne Zuschauer nicht Spiele mit Zuschauern, sondern keine Spiele. Und Letzteres würde sicher noch mehr entemotionalisieren. Wir müssen daher alle durch diese Phase, leider.
Glauben Sie, dass der Fußball grundsätzlich etwas an seiner Attraktivität für Zuschauer und Partner, Sponsoren verlieren wird, auch wenn die Pandemie irgendwann überstanden ist?
Das bleibt abzuwarten. Es wird sicher nicht so sein, dass kurzfristig der Vor-Krisen- Zustand wieder ausgerufen werden kann, sondern die Pandemie in allen Bevölkerungsgruppen und Wirtschaftsbereichen und damit auch auf den Fußball nachwirken wird. Ich bin allerdings überzeugt, dass die Fußball-Bundesliga für viele Menschen weiterhin attraktiv bleiben wird.
Krisen bedeuten auch Chancen. Welche sehen Sie diesbezüglich für den HSV?
Krisen müssen zunächst bewältigt werden, bevor sich die Dinge zum Positiven wenden können. Die Fußball-Bundesliga hat mit dem Auf- und Abstieg eine besondere Wettbewerbssituation, der wir uns in jeder Saison stellen müssen. Derzeit sind viele Klubs damit beschäftigt, ihre eigenen Lösungen zur Bewältigung der finanziellen Herausforderungen zu finden. Wer hier die besseren Möglichkeiten für sich identifiziert und umsetzt, kann zukünftig einen, wenn auch kleinen, Wettbewerbsvorteil nutzen.
Ohne Pandemie-bedingte Einbußen hätte der HSV das letzte Geschäftsjahr trotz des verpassten Aufstiegs mit einer schwarzen Null abgeschnitten. So war es ein Fehlbetrag von 6,7 Millionen Euro. Sind Sie damit zufrieden?
Mit dem verpassten Aufstieg ist niemand zufrieden und die Unzufriedenheit wäre auch nicht weniger, wenn das Jahresergebnis besser ausgefallen wäre. Gut leben kann ich allerdings damit, dass uns drei Jahre 2. Bundesliga und mehr als ein halbes Jahr Spiele ohne Zuschauer nicht den Boden unter den Füßen weggerissen haben, wie es viele prognostiziert haben und es möglicherweise in früheren Zeiten der Fall gewesen wäre.
Wie wichtig ist im Hinblick auf die wirtschaftliche Stabilität des Clubs die Rückkehr in die Bundesliga?
Die Frage zeigt genau die Problematik, nach der einige Clubs und auch der HSV in der Vergangenheit agiert haben. Man setzt alles auf die sportliche Karte, und wenn die gezogen wird, sind die Probleme gelöst. Wenn nicht, dann kommen neue Präsidien, Vorstände und Sportdirektoren in die Verantwortung und müssen mit einer noch schlechteren Ausgangslage umgehen. So wenig wie der sportliche Erfolg prognostizierbar ist, sind im Übrigen auch Transfererlöse planbar. Wir müssen daher bei allen unseren Entscheidungen immer berücksichtigen, dass in den kommenden Saisons auch mal sportliche Ziele nicht erreicht werden. Und wenn dann doch mehr Erfolg eintritt als unterstellt, werden sich genügend Möglichkeiten zur Mittelverwendung ergeben.
Die Redaktion bedankt sich herzlich bei Herrn Frank Wettstein für dieses offene Gespräch.