Alarmstufe Rot fürs Klima

Weltklimarat warnt in neuem Bericht vor Kontrollverlust

Berlin, Genf, „Thüringen“, Quelle: Handelsblatt 09.08.21

Dass der UN-Weltklimarat (IPCC) keine Entwarnung geben würde, war schon lange vor der Veröffentlichung des jüngsten IPCC-Berichts erwartbar. Dass die Autoren aber so unmissverständlich aufzeigen würden, welche katastrophalen Folgen des menschengemachten Klimawandels sich bereits jetzt abzeichnen, überraschte am Ende viele Beobachter, Politiker und Experten.

Denn die Arbeit des IPCC ist ein Politikum ersten Ranges und wird von den knapp 200 IPCC-Mitgliedstaaten eng begleitet. Der Bericht ist also nicht das Produkt einer einzelnen Behörde oder einer wissenschaftlichen Einrichtung mit klarer Agenda.

Gerade weil dem IPCC-Report eine ausgiebige Konsenssuche vorausgegangen ist, klingt das Ergebnis in seiner Eindeutigkeit umso erschreckender: Der IPCC macht deutlich, dass alle Alarmsignale auf „Rot“ stehen.

So ist die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre aktuell höher als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt in den letzten 800.000 Jahren.
Die Oberflächentemperatur hat so schnell zugelegt wie nie zuvor in den vergangenen 2.000 Jahren. Zugleich ist der Meeresspiegel dem Bericht zufolge im vergangenen Jahrhundert schneller angestiegen als in den 3.000 Jahren zuvor.

Die Chancen, den globalen Temperaturanstieg unter zwei Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit zu halten und möglichst sogar auf 1,5 Grad zu begrenzen, schwinden dem Bericht zufolge zusehends. Damit steht die Weltgemeinschaft vor dem Scheitern ihrer beim Klimagipfel in Paris 2015 gefassten Beschlüsse. Eine Erwärmung um 1,5 Grad gilt als gerade noch beherrschbar. Mittlerweile sind 1,1 Grad erreicht. 

Der Bericht räumt außerdem mit dem Vorurteil auf, die Europäer seien vom Klimawandel und seinen zum Teil dramatischen Folgen weniger betroffen als andere Weltregionen.

Dem Bericht zufolge werden die Temperaturen in Europa sogar stärker steigen als im weltweiten Durchschnitt. Häufigkeit und Intensität von Hitzeextremen haben demnach schon zugenommen und werden weiter zunehmen. Der Niederschlag wird im Winter in Nordeuropa stärker ausfallen, aber im Sommer in der Mittelmeerregion und nördlich davon abnehmen.

Die Anzahl heißer Tage sei in Deutschland seit 1951 um fast 200 Prozent gestiegen, ebenso die Anzahl der Tage mit Starkregen. „Extremniederschläge und dadurch verursachte Überschwemmungen werden nach den Projektionen in allen Regionen außer dem Mittelmeer zunehmen, wenn die Erderwärmung über 1,5 Grad hinausgeht“, heißt es in dem IPCC-Bericht mit Blick auf Europa.

Flutereignisse an den Küsten werden zunehmen, Sandstrände im 21. Jahrhundert zunehmend schwinden. Gletscher werden sich deutlich zurückziehen, bislang ganzjährig gefrorener Boden wird auftauen, die Ausdehnung der Schneedecke sinken. Die Schneefallsaison in höheren Lagen wird kürzer ausfallen.

„Lauter als im neuen Bericht des Weltklimarats kann die Wissenschaft nicht mehr warnen. Wir müssen dringend handeln, ein weiteres Zögern werden wir uns selbst nicht mehr verzeihen können, ganz zu schweigen von unseren Kindern.“


Christoph Heinrich, Vorstand Naturschutz beim Umweltverband WWF Deutschland.

Dies sei – nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Flutkatastrophen in Teilen Deutschlands und der verheerenden Waldbrände in großen Teilen der Mittelmeerregion – auch ein dringender Appell an die Parteien. Nicht nur Ökoverbände, auch Wirtschaftslobbyisten mahnen zum Handeln.

Vor allen Dingen, so Kerstin Andreae, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), müssten nun die Fesseln beim Ausbau der erneuerbaren Energien gelöst werden: „Ohne grüne Energie gibt es keine Klimaneutralität.“ Wichtig sei daher, dass die neue Bundesregierung zentrale Klimaentscheidungen bereits im ersten halben Jahr nach Amtsantritt umsetze, um die notwendige Dynamik auszulösen. Hierzu gehöre, Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, Flächen bereitzustellen und den Artenschutz neu zu organisieren.