Ist das Zinstal durchschritten?

Das Zinsniveau und die Entwicklung der Zinsen werden im Euroraum entscheidend durch die Europäische Zentralbank (EZB) vorgegeben. Derzeit liegt der wichtigste Zinssatz, der EZB-Leitzins, bei 0 %, das heißt, zu dieser Kondition können sich Banken Geld bei der EZB leihen. Wollen bzw. müssen sie Geld dort parken, weil es keine sinnvollen Anlagemöglichkeiten gibt, müssen sie sogar einen „Strafzins“ von 0,5 % zahlen.

Wie kam es zu diesen, in der Geschichte nie da gewesenen, niedrigen Zinsen und was dürfen Sparer, „Häuslebauer“ und unsere Gewerbekunden für die nähere Zukunft erwarten?

Im Zuge der Bewältigung der Finanzkrise von 2008/09 pumpte die Zentralbank bis dahin unvorstellbar hohe Geldsummen in den Finanzmarkt und senkte damit Schritt für Schritt das Zinsniveau. Einen weiteren Liquiditätsschub gewährte die EZB während der Eurokrise, die insbesondere die zerrütteten Staatsfinanzen von Griechenland, Spanien, Portugal und Italien auslösten. Schließlich wurde 2016 die heutige Zinshöhe erreicht.

Seit einigen Monaten ziehen die Preise in Europa und auch in Deutschland kräftig an. Zuletzt stieg die Inflationsrate auf deutlich über 2 %, den Wert, den die EZB eigentlich nicht überschreiten wollte, da sie ihn als Grenze der Geldwertstabilität ansieht. Hinzu kommt, dass sich die Wirtschaft in Europa vom Schock der Corona-Pandemie erfreulich schnell erholt.

Mit dieser Entwicklung setzte sich der EZB-Rat, das höchste Entscheidungsgremium der Europäischen Zentralbank, während der beiden letzten Sitzungen, zuletzt am 09.09.21, auseinander. Dabei stellte er fest, dass für die EZB die anziehende Inflationsrate erst dann Gegenreaktionen fordert, wenn sie sich dauerhaft über 2 % festsetzt. Aktuell befände sich die Wirtschaft Europas in einer Übergangszeit, in der insbesondere die oben genannten hochverschuldeten Staaten weiterhin auf extrem niedrige Zinsen angewiesen seien, um ihre milliardenschweren Corona-Hilfsprogramme weiterhin finanzieren und gleichzeitig ältere Staatsschulden tilgen zu können. EZB-Chefin und oberste Währungshüterin Christine Lagarde stellte dabei die Beharrlichkeit der Zentralbank heraus, eine Zinswende werde vorerst nicht stattfinden.

Aus der Wirtschaft hört man derweil immer lauter werdende kritische Stimmen zu dieser Politik. Man wirft der EZB eine zu einseitige Sicht vor. Sie stelle mögliche wirtschaftliche Rückschläge durch weitere Infektionswellen zu stark in den Vordergrund. Die extremen Anstiege der Produzentenpreise weisen auf beginnende wirtschaftliche Überhitzung hin, würden demgegenüber aber kaum beachtet. Dies berge die große Gefahr einer noch höheren Geldentwertung. Die EZB müsse ihrer Hauptfunktion als Hüterin der Geldwertstabilität wieder verstärkt nachkommen.