Sicherung Fachkräftebedarf

Eine zentrale Aufgabe der Zukunft

Dazu hat die Redaktion den ehemaligen Minister Andreas Trautvetter gebeten, dies einmal am Beispiel Thüringen deutlich zu machen:

Aktuell wird fast wöchentlich darüber berichtet, wo Fachkräfte fehlen und wie viele Ausbildungsplätze noch unbesetzt sind. Ein Blick in die statistischen Zahlen unserer Bevölkerungsstruktur zeigt, dass eine der Ursachen in der natürlichen Bevölkerungsentwicklung Thüringens liegt. Im Alter von 50 bis 65 Jahren lebten im Jahr 2021 insgesamt 503 413 Menschen in Thüringen. Dem stehen in der Altersgruppe 0 bis 15 Jahre nur 271 822 junge Menschen gegenüber. In unseren Kreisen Wartburg und Schmalkalden-Meiningen, ist die Situation noch problematischer. Hier lebten 2021 insgesamt 70 857 Menschen zwischen 50 und 65 Jahren, denen nur 35 736 junge Menschen gegenüberstanden. Nur jeder zweite Abgang einer Arbeitskraft in die Altersrente kann überhaupt aus Schulabgängern wieder besetzt werden. Unsere beiden Landkreise haben zurzeit etwa 84 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Um diese zu erhalten, fehlen in den nächsten 15 Jahren 35 000 Schulabgänger.

Berücksichtigt man zusätzlich, dass seit vielen Jahren über 20 % der Schulabgänger nur einen Hauptschulabschluss machen oder sogar ohne Hauptschulabschluss die Schule verlassen, stehen mit einem qualifizierten Schulabschluss (Regelschule oder Abitur) sogar weniger junge Leute für den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zur Verfügung. Im Wartburgkreis waren es im Jahr 2021 21,2 % der Schulabgänger, im Landkreis Schmalkalden-Meiningen sogar 27,6 % ohne qualifizierten Schulabschluss.

In erster Linie sind natürlich unternehmerische Strategien gefragt, um dem akut werdenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Die besonders kleinteilig, mittelständisch geprägte Unternehmensstruktur in unserer Region hat dabei beschränkte Ressourcen für eine strategische Personalplanung. Der Unternehmer muss meistens alles auf sich vereinen: Kundensuche, Materialeinkauf, Produktionsplanung, Personalsuche. Oftmals bleibt dabei wegen der tagesaktuellen Problembewältigung die Personalsuche auf der Strecke.

Qualifiziertes Personal mit einer dauerhaften Bindung an das Unternehmen zu finden, ist eine der zentralen Aufgaben, denen sich die Unternehmen, aber auch die Kommunen, Kammern und Verbände in den nächsten Jahren widmen müssen. Die Möglichkeit, über Rationalisierungsinvestitionen den Weggang von Fachkräften auszugleichen, wird bei der demografischen Entwicklung in den nächsten 20 Jahren nicht die Fachkräfteproblematik lösen können.

Die Unternehmen dürfen dabei nicht alleingelassen werden. Es beginnt in der Schulausbildung. Schulabgänger ohne Schulabschluss darf es eigentlich nicht mehr geben. Hier ist großer Handlungsbedarf in unserem Bildungssystem geboten.

Bedeutendes Potenzial an Fachkräften ist nach wie vor durch die Rückgewinnung abgewanderter junger Menschen vorhanden. Aus unseren beiden Landkreisen pendeln zurzeit etwa 17 000 Menschen in andere Regionen in Deutschland, um dort ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Um dieses Potenzial zu nutzen, bedarf es aber der Verbesserung der Rahmenbedingungen wie Lohnniveau, aber auch der weichen Standortfaktoren, wie Wohnqualität und Angebote z. B. im sportlichen und kulturellen Bereich. Diesbezüglich sind vor allem die Kommunen in der Weiterentwicklung und Umsetzung ihrer Stadt- und Dorfentwicklungskonzepte in der Verantwortung.

Neben der Rückgewinnung abgewanderter Menschen wird die gezielte Anwerbung von qualifizierten Menschen aus dem Ausland eine immer größere Bedeutung bekommen. In der Europäischen Union gibt es viele Regionen mit einer hohen Jugendarbeitslosigkeit. Dort sollte als Erstes Werbung für Thüringen und unsere Heimatregion erfolgen. Da die Ukraine jetzt bereits Beitrittskandidat zur EU ist, sollte man überlegen, ob nicht die Flüchtlinge, die sich eine dauerhafte Zukunft bei uns vorstellen können, zielgerichtet aus- oder fortgebildet werden, um sie bereits jetzt für den Arbeitsmarkt zu gewinnen. Generell gilt: Thüringen und auch unsere Region mmüssen Zuwanderungsgebiet werden. Dazu muss man allerdings auch die Akzeptanz der Bevölkerung erreichen. Hier ist noch viel zu tun.